Roger Staub, jede dritte Person in der Schweiz fühlt sich manchmal oder oft allein, besonders betroffen sind junge, alte und eingewanderte Menschen. Das klingt nach viel …
… das finden wir auch. Umso mehr, als die Schweiz eines der reichsten und glücklichsten Länder der Welt ist. Und wer unter Einsamkeit leidet, hat eine um zehn bis 20 Jahre tiefere Lebenserwartung. Einsam zu sein ist so schlecht für die Gesundheit wie Alkohol, Rauchen und Übergewicht kombiniert.
Wieso gibt es so viele Einsame?
Ihre Zahl hat in den letzten Jahrzehnten klar zugenommen. Ein wichtiger Grund ist unsere Leistungsgesellschaft: Nur wer einen Job hat, gehört dazu – entweder man performt oder man ist ein Schwächling. Junge, Alte, Migranten oder Randständige können sich da schnel einsam fühlen. Ebenfalls nicht hilfreich sind der wachsende Individualismus und der Trend zur Selbstverwirklichung; dies stärkt den Egoismus – was einerseits einsam machen kann, andererseits Empathie für andere reduziert. Auch leben in der Schweiz rund 1,3 Millionen Menschen in einem Einpersonenhaushalt, Tendenz steigend. Dadurch erhöht sich das Risiko zu vereinsamen, wenn soziale Kontakte fehlen oder durch äussere Umstände erschwert werden.
Hat Corona das Problem verstärkt?
Ohne Frage. Einige separieren sich, weil sie tatsächlich Angst vor dem -Virus haben. Andere nehmen die Kommunikation der Behörden zu ernst: «social distancing» und «Bleiben Sie zu Hause!». Viele befolgten das und vereinsamten, dabei geht es doch nur darum, Menschenansammlungen zu vermeiden und Abstand zu halten.
Fühlen sich ohnehin schon Einsame dafür etwas besser, weil nun mehr Menschen im gleichen Boot sitzen?
Nach dem Motto «Geteiltes Leid ist halbes Leid»? Ich glaube eher nicht. Aber es gibt gewisse positive psychische Effekte: Niemand muss sich sorgen, etwas Aufregendes zu verpassen, weil schlicht nichts los ist. Man kann also friedlich zu Hause bleiben und ein Buch lesen.
Erleichtert Corona den Einsamen gar die Adventszeit?
Vielleicht ist sie dieses Jahr für einige erträglicher, weil auch die meisten anderen sich nicht wie gewohnt mit Familie und Freunden treffen können. Doch die dunklen, kalten Monate schlagen auch sonst vielen aufs Gemüt. Das beste Weihnachtsgeschenk dieses Jahr ist, auf Menschen zuzugehen, denen es nicht gut geht. Gerade den Einsamen hilft es, wenn man sie anspricht und sich für sie interessiert.
Auch Menschen, die mitten im Leben stehen, fühlen sich ab und zu einsam. Woher kommt das?
Wer glaubt, er bekomme nicht die Aufmerksamkeit und Wertschätzung, die er verdient, kann sich einsam fühlen. Oder wer sich mit seinen Meinungen und Gefühlen unverstanden glaubt. Ganz entscheidend scheint mir Selbstliebe – je mehr man sich selbst lieben kann, desto psychisch stabiler ist man.
Was kann man tun, wenn man sich einsam fühlt?
Sich aufraffen und jemanden kontaktieren, aus der Familie, am Arbeitsplatz, im Freundeskreis. Wenn man gar niemanden hat, empfiehlt sich eine Selbsthilfegruppe oder eine psychologische Beratung. Vereine oder andere Treffpunkte zu besuchen, kann hart sein, weil es eine grosse Hürde ist, allein an einen Ort zu gehen, wo sich alle anderen kennen. Aber vielleicht findet man jemanden, der einen mitnimmt.
Was könnte die Gesellschaft besser machen?
Sie könnte Integration und Inklusion fördern, etwa mit Mehrgenerationenhäusern oder indem Altersheime nicht am Stadtrand gebaut werden, sondern mittendrin. Als Gegenmodell zur Selbstverwirklichung könnte man das soziale Zusammenleben stärken. Allein glücklich zu werden, ist schwierig, auch wenn man sich noch so erfolg-reich verwirklicht hat. Gemeinsam ist es besser und lustiger.
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