Der Sozialpädagoge M. ist wütend und fühlt sich hilflos: Seine Tochter, eine Sechstklässlerin, wird in der Schule seit Längerem gemobbt. M. plant nun, sich bei den Eltern der mobbenden Kinder zu melden. Doch bevor er das tut, will er sich bei der Fachstelle «Hilfe bei Mobbing» rückversichern, dass dies eine gute Idee ist. «Ich hoffe es, denn ich kann dem Leiden meiner Tochter nicht mehr tatenlos zusehen … das muss einfach aufhören, und zwar schnell!», sagt er am Telefon.
Doch die Fachstelle rät von diesem Vorgehen ab. «Es ist belegt, dass viele
Eltern eine solche Konfrontation als Angriff empfinden und persönlich nehmen», sagt ihm Bettina Dénervaud (44). «Ein Grossteil versucht in aller Regel, ihr eigenes Kind zunächst in Schutz zu nehmen und zumindest einen Teil des Verhaltens irgendwie zu rechtfertigen.» Ausserdem erzählten die Kinder ihren Eltern meist ein bisschen eine andere Geschichte. «Und selbst falls die Eltern ihren Töchtern eine Standpauke halten – was wird die Folge davon sein? Was vermuten Sie?» fragt ihn Dénervaud.
M. versteht, worauf die Mobbing-expertin hinauswill. «Meine Tochter
hat mir auch schon gesagt, ich sollte ja nichts unternehmen, denn das würde
sie dann doppelt zu spüren kriegen. Aber das kann doch nicht sein – ich muss doch etwas tun können!»